Schein zu Schatten und Staub
weil der Physik die Marke einfach egal ist
Das Gleichnis von zwei Musikfreunden –
wenn einer die Natur ignoriert
Szene 1 – Der Tempel des Klang-Gourmets
Wir sind im Palast bei Hörer A.
Sein Hörraum gleicht einem Schrein: akustisch perfektioniert, das Licht gedimmt,
die Lautsprecher auf tonnenschweren Basen, flankiert von einer Phalanx potenter Mono-Endstufen.
Dazwischen glänzen Netzkabel, dicker als Gartenschläuche,
als Hängebrücken geführt, dazu auf Edelholztürmchen gelagert –
gegen Vibrationen, versteht sich.
Die Stromversorgung ist separat, gefiltert, geweiht.
Das alles hat so viel gekostet –
wie ein flaches italienisches rotes sehr schnelles Automobil
Und soll heute vor Ort beweisen, dass der Preis Wahrheit bedeutet
Das Ergebnis (wenn alles serienmäßig funktioniert):
Der erste Ton.
Eine Sängerin.
Jedes Zischen steht wie unter dem Mikroskop,
die Instrumente frieren gestochen scharf im Raum ein.
Ein akustisches Diorama – völlig makellos, leblos.
Musik wie ein präpariertes Insekt in Bernstein.
Hörer B, der Gast, sitzt still und denkt:
„Ich höre jedes Detail, aber nichts lebt.
Die Sängerin ist perfekt – und doch so tot.“
Hörbar sagt er nur:
„Unglaublich klar.“
Besitzer A nickt stolz:
„Ja. Die neuen Netzkabel. Phänomenal, oder? - nur 1500,-€ jeweils“
Szene 2 – In der Werkstatt des Musikliebhabers
-wir sind bei Hörer B.:
Ein normales Wohnzimmer. Kein Tempel, kein Ritual.
Die Lautsprecher stehen frei im Raum, weit entfernt von den Wänden.
Die Anlage: solide, unauffällig, aber eigenwillig arrangiert.
Überall schwarze Holzkästchen- und Aluminiumzylinder –
auf den Geräten, dazwischen, teils übereinandergestapelt?
Kein Markenlogo, kein Prospektglanz.
Hörer A schaut irritiert zu B.
„Was ist das bitte alles?“
B lächelt. „Kleine Helfer. Für die Pünktlichkeit...und
schiebt den Teller kurz an. Er startet den Motor hinzu –
und lässt den Diamanten ab, in die Rille.
Das Ergebnis:
Der gleiche Song. Ein Trommelschlag – unmittelbar, körperlich.
Der Raum explodiert, atmet, lebt. Die Stimme hat Wärme, Tiefe, Bewegung.
Die Musiker spielen miteinander,
werfen sich Impulse zu – wie auf einer echten Bühne.
Hörer A sitzt da, wie erstarrt.
Dann schüttelt er ungläubig den Kopf.
„Aber … das ist unmöglich. Meine Anlage kostet zweihunderttausend Euro!“
B lächelt ruhig.
„Ich weiß.... Meine hat vielleicht ein Zehntel gekostet –
und da sind die Kästchen zur Zeitrettung auch schon mitgerechnet.“
A schaut wieder auf die seltsame Landschaft aus Holz, Aluminium und Drähten,
und erkennt, dass in diesem Augenblick sein Invest deklassiert ist.
Bedeutungslos.
Die Erkenntnis:
Geld kann Glanz erschaffen – aber keine Naturgesetze überlisten.
Musik entsteht aus Bewegung, Rhythmus und Pünktlichkeit.
Wenn Zeit verloren geht, stirbt zuerst die Raumauthentizität –
und mit ihr die Lebendigkeit, die wir für Musik halten.
Wenn Schein zu Staub verpufft, beginnt Wahrheit.
Immer.